Samstag, 27. November 2010

Hohn und Spott aus dem Netz

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VON STEFFEN KÖNAU
, 26.11.10, 21:28h, aktualisiert 26.11.10, 21:31h


Halle (Saale)/MZ. Sturmangriff auf den Reichstag, Bombenattentate vorm Glühweinstand, "Gefährder", die unauffällig einsickern, um den Deutschen die stille Zeit vor dem Weihnachtsfest zur Hölle zu machen. In unerwartet deutlicher und ungewöhnlich dramatischer Art hatte Bundesinnnenminister Thomas de Maizière (CDU) in der vergangenen Woche vor Terroranschlägen gewarnt, die "möglicherweise schon Ende November verübt werden" sollten. Das Fernsehen übertrug live, die Nachrichtenagenturen schoben umgehend genaue Horrorszenarien nach.

Wenig später sickerten dann schon genaue Einreiserouten und Ankunftsdaten durch, die Nationalität der Bedroher, ihre Anzahl und "sehr konkrete" Zielorte machten Schlagzeilen. Die Polizeipräsenz wurde bundesweit erhöht. Selbst Beamte, die seit Jahren nur Innendienst geschoben hatten, standen plötzlich mit kugelsicherer Weste und Maschinenpistole auf Bahnhöfen, um, so höhnte ein Nutzer im Internet-Kurznachrichtendienst Twitter, "Zündschnüre für Terrorbomben sofort ausschießen zu können".

Ausgerechnet im Netz, das sonst stets bereit ist, jede Mücke als Elefanten zu feiern, rief die regierungsamtliche Beschwörung der höchsten Bedrohungslage seit 2001 nicht Furcht und Sorge hervor. Sondern Hohn und Spott. Dass die Regierung warne, erscheine ihm logisch, erläutert ein Schreiber im angesehenen Wirtschaftsforum Das Gelbe. "Noch nicht verstanden habe ich nur, wovon das diesmal ablenken soll."

Ein Gefühl, das weiter verbreitet zu sein scheint als die mediale Wirklichkeit glauben lässt. Die ließ auf die Warnung vor dem Terror Warnungen vor der Angst und Warnungen vor allzuviel Warnungen folgen - das war dann schon, als die ersten Anschlagtermine ereignislos verstrichen waren.

Der Blogger und Journalist Mario Sixtus hingegen machte sich einfach daran, den Stimmen derer eine Plattform zu geben, die nicht im virtuellen Terror, sondern in seiner Bekämpfung eine durchaus reale Gefahr sehen. Auf der Internetseite wirhabenkeineangst.de versammelt der 45-jährige Grimmepreisträger seit Mitte der Woche Wortmeldungen von jedermann und vielen Frauen. Schnappschüsse von Familien sind darunter, die angeben, keine Angst zu haben, hämische Grüße an Terroristen und selbstgemachte Karikaturen etwa zur "Bielefelder Lösung", die am Bahnhof der westfälischen Stadt erprobt werde: Ein Schild mit einer durchgestrichenen Bombe und der Aufschrift "Terror verboten".

Mario Sixtus, einst als "Elektrischer Reporter" ein Pionier des Online-Journalismus, sagt, er wolle die Gefahrenlage keineswegs verharmlosen. "Die Aktion richtet sich nicht gegen die innere Sicherheit, sondern gegen den überzogenen Aktionismus." Im Windschatten der laut beschworenen Terrorgefahr werde versucht, Bürgerrechte zu beschneiden. "Gefährlicher als es ein Terroranschlag je sein könnte, sind überaktive Politiker."

Ein Gefühl, das der Zugführer aus Bayern teilt, der schreibt: "Wenn ich Angst hätte, müsste ich das Sprengkommando jeden Tag ein paar Mal für die vielen von unseren Schülern im Zug vergessenen Turnbeutel anfordern." Ein Gefühl, das Magdalena Böttger zu ihrem "Angst-Quiz" inspiriert hat: Nach Jahren geordnet heißt es "Finde die Gefahr". Nur die Älteren erinnern sich noch: "Jahrtausendwechsel, BSE, Sars, Vogelgrippe, Finanzkrise, Schweinegrippe."

"Wer Panik sät, wird Häme ernten", dichtet ein anderer, und wenn er Recht behält, muss die Terrorangst bald um ihre Existenz zittern. Der wahre Terror sei ja die Angst, sagt Sixtus. "Mit jeder hysterischen Schlagzeile, mit jedem Bedrohungszenario, das die Regierung an die Wand malt, kommen die Terroristen ihrem Ziel, Furcht und Schrecken zu verbreiten, einen Schritt näher." Nach nur drei Tagen haben mehrere hundert Menschen "Keine-Angst"-Beiträge geliefert und mehrere hunderttausend sie gelesen.

Initiator Sixtus glaubt trotzdem nicht, dass seine Aktion die Politik umdenken lässt. "Politiker nehmen meist nur wahr, was in den Pressespiegeln steht. Daher habe ich nur geringe Hoffnung, dass die Botschaft diejenigen erreicht, an die sie gerichtet ist."


Zitat

Gefährlicher als es ein Terroranschlag für unseren Staat jemals sein könnte, sind überaktive Politiker. Sie wollen im Windschatten einer vermeintlichen oder realen Terrorbedrohung unsere Freiheitsrechte beschneiden, Überwachungsstrukturen schaffen und ganze Bevölkerungsgruppen unter Pauschalverdacht stellen. Geben wir der Angst nach, haben die Terroristen gesiegt. Das gönnen wir ihnen nicht.

Daher rufen wir allen politischen Entscheidungsträgern zu: Wir haben keine Angst!


Quelle Mitteldeutsche Zeitung
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