Mittwoch, 18. April 2012

Europa im Licht der Barmherzigkeit

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Liebe Freunde, 

wir Christen sind – aus verständlichen Gründen - leicht pessimistisch, was die Zukunft der Christenheit in Europa betrifft. Haben wir schon einmal versucht, in den Veränderungen auch etwas Positives zu sehen? Stefan Meetschen, ein deutscher Journalist und Filmexperte mit Polenerfahrung, hat für uns dazu ein paar sehr interessante Gedanken niedergeschrieben, die wir in diesem Europabrief zum Nachdenken vorlegen.

Nützen wir die Gelegenheit des kommenden Europatages, um in besonderer Weise für Europa zu beten. Danke dafür und dass Sie der Sauerteig sind, von dem Jesus sprach!

Ihr Europa für Christus! – Team in Wien

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Europa im Licht der Barmherzigkeit
von Stefan Meetschen

Der polnische Philosoph Józef Tischner (1931-2000) hat einmal gesagt, es gebe im modernen Europa keine Heiden, sondern nur christliche Heiden. So anhaltend tief sei die geistige Prägekraft des Christentums. Auch wenn sich viele, der Kirche fernstehende Menschen darüber gar nicht bewusst seien. Und in der Tat: Wenn man heute in die kulturelle und politische Landschaft der Länder Europas schaut, so erkennt man Personen und Institutionen, die sich selbst in ausdrücklicher Opposition zum Christentum definieren und artikulieren. Als bedürfe diese Opposition im pluralistischen Zeitalter eine besondere Erwähnung.

Es gibt mindestens zwei Möglichkeiten auf dieses Phänomen zu reagieren: Wut oder Barmherzigkeit. Wut steigt bei vielen Christen auf, wenn sie sehen, wie das, was ihnen heilig ist und unter dem Schutz der Religionsfreiheit stehen sollte, durch öffentliche Stimmen befleckt und gesellschaftlich zunehmend marginalisiert wird. Durch Gesetzesreformen, die das christliche Menschen- und Familienbild weitestgehend aushebeln, durch künstlerische Aktionen, die einen blasphemischen Charakter aufweisen. Durch Medienrituale, in denen das Christentum als Teppich für trampelnde Tabubrüche dient.

Aber es gibt auch eine denkbar andere Reaktion: die der Barmherzigkeit, des barmherzigen Verstehens. Tischner, der sich in seinem denkerischen Schaffen an der Philosophie des Dialogs von Emmanuel Lévinas orientierte und das Ende seines Lebens in tiefer Verbundenheit mit den Visionen von der göttlichen Barmherzigkeit der Hl. Schwester Faustyna verbrachte, neigte zu diesem Ansatz.

Vielleicht sprach er sich deshalb nach der Wende 1989 dagegen aus, christliche Werte in den polnischen Verfassungstext aufzunehmen. Dass christliche Wertesystem fest im säkularen Staat zu verankern. Tischner hatte Angst, dass dadurch das Christentum zu einer Ideologie werden könne, die christlichen Tugenden zu Götzen. Wahrer Glaube, wahre Bekehrung, so formulierte es Tischner in seinem letzten Werk, „Der Streit über die Existenz des Menschen“, sei etwas völlig anderes. Nur in Freiheit möglich. Ohne Zwang.

So gesehen erleben die Christen Europas zu Beginn des 21. Jahrhunderts vielleicht sogar eine historische Chance, eine Gnade. Nach vielen Jahrhunderten der machtpolitisch aufoktroyierten und bürgerlich verwässerten Sozialisierung zum Christentum hat eine Epoche begonnen, in der eine freie Wahl, eine persönliche Entscheidung zum Christentum notwendig ist.

Eine bewusste Wahl, die sich in Freiheit der Person vollziehen kann. Eine Wahl, die etwas kostet und keine Vorteile bietet. Denn: gesellschaftliches Prestige lässt sich mit dem christlichen Glauben oder einem Kirchenamt heute in Europa kaum noch gewinnen. Es ist der Geist der authentischen Nachfolge Christi, der dadurch neu zur Blüte kommen kann. 

Zumal viele Menschen kein wirkliches Wissen mehr von Christus besitzen. Sie meinen nur zu wissen, wofür Jesus, die Kirche und der Papst stehen. Was sie nicht an unqualifizierten Äußerungen hindert. Manchmal schleicht sich beim Hören derartig lauter Kritiker am Christentum der alte psychologische Diagnoseverdacht ein, dass gerade diejenigen, die vehement auf das Christentum schimpfen, sich auf einer tieferen Ebene danach sehnen, im Einklang mit diesem Glauben und seinem Wertesystem zu leben. Als ließen sich die eigenen Schuldgefühle nur durch die Erzeugung neuer, selbstgemachter Standards verdrängen. Was für ein riesiger, faszinierender Weinberg ist Europa für die Christen geworden. 

Höchste Zeit, die verborgenen Prägungen durch den Glauben neu zu erforschen. Mit den Augen und Röntgenstrahlen der göttlichen Barmherzigkeit.

Dr. Stefan Meetschen ist Journalist und Autor. Sein Buch „Europa ohne Christus?“ ist beim fe-Medienverlag erschienen. 


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