Mittwoch, 31. Juli 2013

Wer steckt eine Kirche in Brand

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Kirchenbrand macht Garbsen sprachlos

Entsetzen und Sprachlosigkeit auf der einen Straßenseite, Sensationsgier und Häme junger Menschen auf der anderen. Das ist eines von vielen Bildern aus der Nacht zum Dienstag. Die Serie der Brandstiftungen ist eskaliert: Die Willehadikirche ist ausgebrannt. Das ist mehr als ein Millionenschaden. Die Gemeinde hat ihre Heimat verloren.


Garbsen. „Wenn sie eine Kirche anstecken, brennen demnächst Wohnhäuser.“ Eine Anliegerin spricht in der Nacht aus, was vielleicht viele denken. Angst, Fassungslosigkeit, Tränen fließen unter jenen, die Willehadi verbunden sind. „Ich bin erschüttert, dass nicht alle erschüttert waren in dieser Nacht“, sagt Pastorin Renate Muckelberg und meint Szenen, die Feuerwehr und Polizei erleben mussten: Fast ausgelassen tobende Jugendliche am Sperberhorst, hämische Rufe und provozierend nah vorbeirasende Halbstarke auf Rädern; überall filmen Mobiltelefone. „Das waren doch wieder diese Kinder“, sagt eine Anwohnerin - und meint die Gruppe von Heranwachsenden, die seit Monaten im Verdacht steht, immer wieder Papiercontainer, Müllsäcke und Bäume anzuzünden. Allein in diesem Jahr waren Brandstifter ungefähr 30-mal auf der Horst aktiv.


Wie die Brandstifter das Feuer entfacht haben, ist unklar. Anlieger  berichten von Böllerexplosionen in der Nacht. Kurz darauf dringt Brandgeruch in Wohnungen am Sperberhorst. Die Kirche steht in Flammen. „Das kenne ich nur aus dem Krieg“, sagt Renate Born von Willehadi. Am nächsten Tag stehen Passanten fassungslos vor der Ruine. Der Schock in der Gemeinde sitzt tief. „Ich wurde hier getauft, konfirmiert, bin aus- und wieder eingetreten“, sagt ein Anwohner, der seinen Namen nicht nennen möchte. Für ihn, seine Frau und die zwei Töchter ist die Kirche wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Sie können es nicht glauben. „Uns bleibt nur zu hoffen, dass wieder aufgebaut wird“, sagt seine Frau.

Kirche war schon vor einer Woche Ziel der Brandstifter

CHRONIK

Januar: Drei Container, eine Garage und ein Baum. Tatorte sind Sperberhorst, Neptunhof, Skorpiongasse und Kepler-Gymnasium.

Februar: Ruhe. Der schwere Brand in der Ladenzeile am Marshof am 1. beruht offiziell auf einem technischen Defekt.
April: Viermal brennen Bäume und Hecken, darüber hinaus ein Papierkorb.
Mai: Vier Brände, darunter mehrere Paletten am Marshof.
Juni: 16-mal wurde Feuer gelegt, zehnmal an Containern. Außer der Reihe: ein Brand direkt neben der Dorfkirche Altgarbsen.
Juli: Sechs Brände, davon zwei an der Willehadikirche und zwei am Talkamp beim Pflegeheim.
Die Protokolle der Ortsfeuerwehr Garbsen verzeichnen 39  Container-, Hecken- und Müllbrände in den Stadtteilen Auf der Horst und Garbsen-Mitte seit Jahresbeginn. Die Wohnquartiere Märchenviertel und Widerstandsviertel in Garbsen-Mitte muss man inzwischen zum Umfeld der Brandstifter hinzurechnen – sie kommen immer wieder über die Autobahnbrücken von der Horst.
Viele helfen. Pastor Edgar Dogge von Versöhnung, Pfarrer Benno Nolte von St. Raphael, Burkhard Grahe von Altgarbsen und die Stadt haben Muckelberg Unterstützung zugesagt. Der TSV Havelse hat ein Benefizspiel zugunsten der Gemeinde angekündigt. In der katholischen Nachbargemeinde St. Raphael habe sich am Dienstagabend mehr als 100 Menschen versammelt, um eine Andacht zu feiern.

So kämpft die Feuerwehr um die Kirche

Als die Feuerwehrleute Dienstagnacht um 1.07 Uhr aus den Betten gerissen werden, stehen die Reste des Willehadi-Gemeindehauses voll in Flammen. „Es muss schon lange vorher gebrannt haben, oder es sind massiv Brandbeschleuniger eingesetzt worden - so etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagt Ortsbrandmeister Rüdiger Kauroff. Er ist bei Willehadi konfirmiert worden, so wie viele andere seiner Kameraden. 140 Feuerwehrleute aus Garbsen, Berenbostel, Horst, Meyenfeld und Seelze geben Tausende Liter Wasser auf die Gebäude. Sie können nicht verhindern, dass die Flammen vom Gemeindehaus durch die sehr schmalen Fenster in die Kirche überschlagen und ihren Weg unters Dach finden. Und im Dach sitzt das meiste Holz.

Von außen ist kein Herankommen. Im Kirchenschiff wüten die Flammen, die Fensteröffnungen sind zu klein für die Mengen an Löschwasser, und das Kupferblechdach hält bis zum Morgen. In Wasserfällen stürzen die Fluten an den Außenmauern wieder herunter. Um 3.30 Uhr schickt die Berufsfeuerwehr Hannover zwei Männer mit einem Löschroboter in die Kirche. Das Gerät wird ferngesteuert; Es kann große Mengen Wasser fein zerstäubt unter Hochdruck in das Gebäude blasen. Es schafft das, wofür herkömmliche Mittel Stunden gebraucht hätten. Nach einer Stunde sind die meisten Brandherde gelöscht.

Die erste Schicht der Feuerwehren kämpft bis um 8.40 Uhr mit den übriggebliebenen Flammen; die zweite rückt eine Stunde später an und meldet nach 13 Uhr: Feuer aus. Oberendes Ortsbrandmeister Frank Muhlert hat gegen 2.30 Uhr den Verpflegungszug aus den Federn getrommelt. Wasser, Würstchen, Brötchen, heißen Kaffee treibt er auf, während der Mond unter- und die Sonne aufgeht.
Dass Brandermittler am Vormittag ungewöhnlich schnell wieder abrücken, verkürzt die Dienstzeit der Feuerwehren: Sie können endlich einen Schaumteppich auf die Brandnester im Schutt legen. Vorher hätten Spuren verwischt werden können. Wie stark die Kirchenmauern unter der Hitze gelitten haben, weiß noch niemand. Und damit kann auch noch keiner sagen, ob sich Teile der Kirche erhalten lassen. Erhalten bleibt der Gemeinde ein zentrales Symbol: Der Bronze-Christus an der Wand hinter dem Altar hat das Inferno überstanden - er hängt noch immer an der Mauer über den Trümmern.


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