Samstag, 17. September 2016

Inflation kann nicht nur Geld entwerten

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Wenn der Gauner großzügig tut
 
Wie oft man uns schon Steuererleichterungen versprochen hat, was dann daraus wurde, und wie Frauke Petry zur Attacke einlud
 
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel


Ist denn schon Bundestagswahl? Schon heute verspricht uns die Bundesregierung, die Deutschen per Steuersenkung um insgesamt 6,3 Milliarden Euro zu entlasten. In zwei Schritten soll das passieren, nämlich 2017 und 2018. Da das jetzt schon festgezurrt wurde, wollen wir auch ganz fest daran glauben.

Das haben wir schließlich immer getan, wenn die Kanzlerpartei mit solchen Ankündigungen unsere Augen zum Glänzen brachte. 2005 erklomm Merkel mit knapper Not durch wenige Promille Vorsprung vor Schröder den Kanzlerthron. Die Stimmen hatte sie auch aus Dankbarkeit für die Zusage bekommen, die Steuern spürbar zu senken.

Dafür sollte auf der anderen Seite die Mehrwertsteuer um zwei Punkte angehoben werden, damit der Staat nicht noch mehr Schulden machen muss. Das lehnte die SPD kategorisch ab. Am Ende einigten sich beide darauf, die Mehrwertsteuer statt um null (SPD-Forderung) oder um zwei (Unions-Forderung) doch besser gleich um drei Punkte anzuheben, von 16 auf 19 Prozent.

Wir waren schon ein bisschen ungehalten damals. Aber das hielt zum Glück nicht lange, denn schon zur Bundestagswahl 2009 hieß es wieder: Merkel will die Steuern senken. Natürlich haben wir sie dafür gewählt, wer wollte sich den warmen Regen denn entgehen lassen?

Warmer Regen? Es blieb trocken, was dann schon der eine oder andere übel nahm, überraschenderweise aber nicht der Kanzlerpartei. Ihr neuer Koalitionspartner FDP strampelte sich vier Jahre lang vergeblich ab, die Steuerlast herunter zu bekommen. Einmal konnten wir im Fernsehen einem teuflisch grinsenden Finanzminister Schäuble zusehen, wie er neben dem hilflos barmenden FDP-Chef Rösler saß, als wollte der alte Fuchs sagen: Lauf nur los, du Hosenmatz, ich hab’ überall Fallen gelegt.

Die Liberalen hatten keine Chance. Sie konnten nichts durchsetzen und sind 2013 folgerichtig verdampft. Nicht so die Kanzlerpartei, die auch 2013 mit dem Evergreen „CDU will Steuern senken“ abermals unser vollstes Vertrauen errang. Was nun schon wieder drei Jahre her ist, weshalb es Zeit wurde, die alte zerkratzte Platte von Neuem aufzulegen. Und siehe: Sie knarzt ebenso verlockend wie ehedem!

Und wie geht es nach der Wahl weiter? Auch das können wir mit Blick auf 2002 und die Folgewahljahre ziemlich genau vorhersagen. Dann werden sich ganz unverhofft „neue, unvorhergesehene Herausforderungen“ auftun, die eine Steuersenkung „zum jetzigen Zeitpunkt nicht vertretbar erscheinen lassen“.

Wobei der Begriff „spürbare Steuersenkungen“, den das Haus Schäuble gewählt hat, schon an sich bemerkenswert ist, wenn man auf die Summe von sechs Milliarden Euro blickt. Der Finanzminister wird nämlich allein in diesem Jahr einen Haushaltsüberschuss von 18 Milliarden „erwirtschaften“ verkündet man stolz in Berlin.

„Erwirtschaften“ klingt wunderbar solide, ehrlich und kompetent: Da kann aber einer mit Geld umgehen. Oder? Nun, wer hinter den schönen Vorhang blickt, dem vertrocknen die hübschen Worte im Mund zu Staub, denn was er dort zu sehen bekommt, ist eher ein legaler Trickbetrug als der Erfolg soliden Wirtschaftens.

Seit Beginn des Kreditwesens, das es schon vor der Erfindung des Geldes gab, bekommt der Kreditgeber vom Kreditnehmer eine Gegenleistung für die Ausleihe, Zins genannt. Erstmals in der Geschichte haben unsere Mächtigen diesen Zins brutal abgeschafft, damit sie sich Geld umsonst leihen können. Und zwar bei uns, über unsere private Altersvorsorge und unsere Ersparnisse.

Sie zwingen die Versicherer per Gesetz, unser Geld „sicher“ anzulegen, also in Staatsanleihen. So holt sich Schäuble unser Geld. Dann muss er nur noch warten, bis die Inflation dessen Wert wegschmilzt. Das nennt er dann „erwirtschaften“, wo andere wohl an Diebstahl denken mögen.

Aber Halt: Inflation? Die gibt es doch gar nicht mehr! Sagen uns zumindest die staatlichen Statistiker. Auch die Politik und die vielen „unabhängigen Experten“ beglückwünschen uns immer wieder zur Stabilität unseres Geldes. Manche jammern sogar, dass es zu stabil sei, was die Wirtschaft lähme.

Blöderweise ist in diese süße Mär von der Geldwertstabilität ein Urteil des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts hineingeplatzt. Das hat vor Jahren befohlen, dass der Hartz-IV-Regelsatz stets mindestens das Existenzminimum abdecken muss.

So haben wir seitdem einen ziemlich genauen Gradmesser dafür, wie es um die Preisent­wicklung bei Waren des täglichen Bedarfs bestellt ist. Anders gesagt: Wie sich der Wert unseres Geldes im Supermarkt entwickelt. Zum 1. Januar soll der Hartz-Satz für Alleinstehende von 404 auf 409 Euro steigen, etwa 1,2 Prozent.

Das wäre also ungefähr die tatsächliche Geldentwertung 2016. Nicht viel, oder? Kommt drauf an: Schäuble gibt zum Beispiel zehnjährige Staatsanleihen heraus, leiht sich das Geld auch aus der von der Politik wärmstens empfohlenen Riester-Rente für zehn Jahre. Wenn die um sind, hat die Summe bei 1,2 Prozent Inflation fast zwölf Prozent ihrer Kaufkraft eingebüßt, nach 30 Jahren sogar mehr als 30 Prozent. Dann kommt noch der Versicherungskonzern oder die Bank mit ihren Gebühren und aus ist’s mit dem „abgesicherten Lebensabend“.

So verspricht der Finanzminister also lediglich, uns mit den sechs Milliarden Euro ein Drittel der in genannter Weise auf unsere Kosten „erwirtschafteten“ 18 Milliarden zurückzugeben. Dieser Mann muss von einem tiefen Drang nach Fürsorge und Gerechtigkeit für die deutschen Steuerbürger getrieben sein.

Aber was soll er denn machen, Wahlkampf ist schließlich Wahlkampf. Und wenn man den Leuten schon nichts anbieten will, dann muss man wenigstens so tun. Die Politiker bauen darauf, dass das mit den Zinsen und dem Kaufkraftverlust für die meisten Leute sowieso zu kompliziert ist. Die gucken auf ihre Banknoten und sagen sich: Kaufkraftverlust? Wo denn? Steht doch immer noch zehn Euro drauf? 

Hilfreich ist nicht bloß unsere Dummheit. Freundlicherweise tut auch die lästige Konkurrenz der Regierung von Zeit zu Zeit die Liebe, etwas Angreifbares zu veranstalten. Frauke Petry hat gesagt, sie finde den Begriff „völkisch“ gar nicht so schlimm, der sei doch bloß ein dem Wort Volk zugehöriges Attribut.
 
Heilige Einfalt! Ganz so einfach ist das natürlich nicht. Unter einem Nationalsozialisten stellt man sich doch ebenfalls keinen patriotischen Sozialdemokraten mehr vor, seit das Wort historisch anders besetzt ist. So hat auch „völkisch“ eine gewisse Färbung angenommen, die über den reinen Wortsinn hinausgeht.
 
Aber egal: Petrys seltsamer Ausflug in die unbedarfte Begriffslehre wurde voller Wonne aufgegriffen, die Attacke startete umgehend. Auf tagesschau.de prangt eine Ausgabe des „Völkischen Beobachters“, womit alles gesagt ist, was insinuiert werden soll: Die AfD-Chefin hat sich nun endgültig als Nazi entlarvt – Klappe zu, Affe tot!
 
Dabei ist den freudigen Angreifern allerdings entgangen, dass sie einen toten Gaul reiten, den sie selbst auf dem Gewissen haben. Seit mehr als einer Generation und in letzter Zeit mit geradezu hysterischem Eifer schieben sie jeden in die Nazi-Ecke, der ihnen politisch rechts vorkommt. Auf die Weise haben sie das Schreck­wort solange totgeritten, bis es in den Augen von immer mehr Menschen seinen eigentlichen Inhalt verloren hatte. Wenn wir heute hören, dass der oder die ein „Nazi“ sein soll, verstehen wir automatisch: Aha, da hat also jemand den Euro kritisiert oder die Asylpolitik, mehr nicht.

So ist das eben: Inflation kann nicht nur Geld entwerten, sondern auch Wörter. Irgendwann liegen sie dann wertlos in der Ecke und haben jede Aussagekraft verloren – Nazi! Na und?




Preussische Allgemeine
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